find ich super, dass ihr alle mit so viel Ausdauer verfolgt, was ich hier so schreibe. Das setzt mich ja schon fast etwas unter Druck jeden Tag wirklich etwas neues zu erleben, damit es hier nicht langweilig wird. Bisher ist das ja auch gar nicht schwierig, ich erlebe hier ja neue Sachen quasi im Stundentakt, und ich die eine oder andere Geschichte/Anekdote hebe ich mir manchmal auf für ereignislosere Tage.
Heute war mal wieder ein Tag der potentiellen Vorlesungen, es standen beide Vorlesungen auf dem Programm. Die erste Probability and Statistics hat dann auch wieder nicht stattgefunden, die zweite Vorlesung Artificial Intelligence war ein Erlebnis für sich. Die Vorlesungen fangen hier immer zur vollen Stunde an und enden um 10 vor der nächsten Stunde. Also z.B. von 9:00- 9:50 Uhr. AI sollte um 12:00 Uhr starten, motiviert wie ich war, bin ich natürlich schon um 11:50 Uhr hingegangen und da war eben schon (oder noch?) jemand im Vorlesungssaal und hat erzählt, während ihm Studierende gelauscht haben. Ich hab also gewaret, es wurde dann auch so langsam 12 Uhr und ich hab angefangen mich zu wundern warum:
1) Niemand außer mir drauf wartet, dass er da drin fertig wird.
2) Er nicht fertig wird.
Mich beschlich der Gedanke, dass dies vielleicht schon die AI-Vorlesung sein könnte. Ich habe dennoch weiter gewartet (Ich wollte mich jetzt auch nicht einfach respektlos dazusetzen...). Der Mann hat fröhlich weitererzählt, bis 12:15 Uhr. Danach ging dann die Vorlesung zu Ende. Ich hab dann gleich den ersten Studenten gefragt, welche Vorlesung das denn jetzt war. Antwort: Nicht AI.
OK soweit so gut, aber warum hat der andere dann fröhlich 25 Minuten überzogen? Sprich seine Vorlesung locker mal 1 1/2 mal so lange gemacht als es planmäßig wäre? Antwort: Wir sind hier eben in Indien. Nächstes Rätsel, warum hat außer mir hier sonst niemand gewartet? Falscher Saal? Nein, Saal stimmt schon. Es kamen dann auch zwei Inderinnen just in dem Moment, als die Vorlesung des anderen geendet hatte. Sie haben sich in den Saal gesetzt, ich hab sie gefragt, was sie hier hören wollen: AI. Hm... ok, dann bin ich also zumindest nicht total falsch hier gelandet. Die Inderinnen fragten mich kurz das Übliche: Was studier ich (als ich sagte Mathe, führte dies zu kurzer Verwirrung, bis ich erklärt hatte, dass ich Informatik als Anwendungsfach hab), wo komm ich her, wo wohn ich...
Danach schaut die eine auf die Uhr (es waren seit ihrem Eintreffn vielleicht 3 Minuten vergangen) und meint: ''Hm... es ist schon 20 nach, er wird wohl nicht mehr kommen.''
Spitze.
So kann man es natürlich auch machen. Ich habe mir dann auch mal erklären lassen warum hier in der Woche in der die Kurse anfangen sollen keine Kurse anfangen. Der Grund ist, dass sich innerhalb dieser Woche ganz viele Ersties einschreiben, und die kommen eben auch gleichmäßig über die Woche verteilt hier an. Da kein Professor möchte, dass die Hälfte den Einstieg verpasst fangen sie ihre Vorlesung ungefähr eine Woche später an, als es auf dem Plan steht. Sehr ehrenhaft, warum man jedoch nicht einfach den offiziellen Vorlesungsstart dementsprechend verschiebt?
Indien eben.
Naja an dem morgen hatte ich dann auch irgendwie nicht so coole Laune, die neue Bekanntschaft eines Schweizers und eines Kanadiers (und zwei weiterer Franzosen) haben das auch nicht bessern können. Ich habe mich dann in die indische Bürokratie geworfen. Und da gibt es eine interessante Diskrepanz zu beobachten. Der tertiäre Sektor in Indien ist rießig, Bürokratie ist hier wirklich ein wesentlich größerer Apparat als in Deutschland. Die Diskrepanz besteht nun darin, dass es nicht so richtig ernst genommen wird. Es ist ungefähr so, wenn Indien ein Mensch wäre, dann wäre Bürokratie sein Hobby. Öffnungszeiten? Braucht man nicht. Informationsmaterial wie etwas funktioniert? Gibts nicht. Eine erkennbare Struktur? Nicht erkennbar. Eine Reihenfolge in der das Publikum abgearbeitet wird? Vergiss es. Ich bin heute zu einem Büro gegangen, um meine eigene Internet-ID zu bekommen. Der Mensch war sehr nett, und hat mich nach meiner Roll-number gefragt, sprich meine Matrikelnummer. Etwas was ich erst morgen bekomme. Ich hab ihm versucht klar zu machen, dass ich noch keine habe, er wollte mir das auf seine freundliche Art undWeise jedoch nicht so richtig glauben und hat einfach mal angefangen rumzutelefonieren. Der Witz ist die Roll-number ist der Login-Name. Als er dann für sich selbst herausgefunden hatte, dass ich wirklich keine Roll-number habe, oder besser gesagt, diese ihm grade jetzt niemand verraten möchte, hat er einfach einen Login 'Michael' angelegt. Ich soll ihm dann die Roll-Number irgendwann mal vorbeibringen, damit er den Login-Namen ändern kann. Das ist genau was ich meine. Bürokratie ist hier mehr Hobby. In Deutschland hätte mir jeder gesagt, dass ich zuerst meine Roll-number brauche und ohne diese kann man leider nichts machen.
Nun denn, jetzt habe ich eine Internet-ID ohne Roll-Number, wie ich bisher so ziemlich alles ohne Roll-Number bekommen habe, obwohl ich sie schon mindestens offiziell drei- oder viermal gebraucht hätte.
Ich hab jetzt 8 neue 'Passport-Sized' Fotos. Die ich in der Stadt Chennai machen habe lassen. Hier braucht man einfach für alles Passport-Sized Fotos, sogar für meinen Handy-Vertrag habe ich ein Foto gebraucht.
Jens hatte heute zwei Bremer getroffen, es jedoch versäumt herauszufinden, wo diese wohnen oder Nummern auszutauschen. Also wird meine Bekanntschaft mit diesen beiden wohl noch etwas auf sich warten lassen. Seine Vorlesung war übrigens 'sehr verwirrend', er hatte den Professor so gut wie nie verstanden, und die Vorlesung ist sehr verschult. Der Prof. stellt gerne mal fragen, man muss dann aufstehen, um diese zu beantworten... ich bin mal gespannt, ob das in meinen auch so ist.
Wie gesagt ich habe heute einen Schweizer und einen Kanadier und zwei weitere Franzosen getroffen, ich denke ich werde einfach mal spaßeshalber ne Strichliste anfangen:
Franzosen: 9
Schweizer: 1
Kanadier: 1
Deutsche: 1
Inder: überabzählbar endlich viele.
Inderinnen: 2
Heute ist es mir auch zum ersten mal passiert (als ich gerade gemütlich mit meinem Fahrrd zur AI-vorlesung gefahren bin), dass sich ein Inder selbstverständlich auf meinen Gepäckträger setzt und ein Stückchen mitfährt. Ich wäre vor Schreck fast mit dem Fahrrad umgekippt.
Heute Abend waren wir dann mal wieder Essen, Jens und ich, dieses mal ohne die Franzosen, das bedeutete vor allem: Bestellen ohne Wissen was oder wie viel man bekommt.
Es war sehr lecker, jedoch sehr viel, ich habe leider nicht alles geschafft. Dafür hab ich mich jetzt zum ersten mal seit ich hier bin überfressen. Juchhuh. Womit der heutige Tag dann auch endet. Im Wohnheim ist es etwas ruhiger geworden, die Leute lernen jetzt etwas mehr, als Parties zu machen.
Was habe ich heute gelernt:
1) Man sollte sehr darauf achten, was man für Kleidung trägt, ich denke nicht, dass ich eines dieser Passbilder in Deutschland benutzen werde (obwohl die schon ziemlich cool sind...):
2) Länder können Hobbies haben.
3) Englisch als Muttersprache hilft nicht besonders viel weiter, um den indischen Akzent zu Verstehen, braucht man Übung. (coole literarische Doppelbenutzung des inneren Satzteils... weiß jemand wie man in diesem Falle Kommas setzen müsste?)
4) Mittagsschläfchen führen zu wesentlich kürzeren Blog-Einträgen.
ciao,
Michael
5 Kommentare:
hallo tudy!
schön, dass du unsere t-shirts in ehren hältst!!!
lange musst du ja nicht mehr so viel erleben, dass du dauerbloggen kannst. in spätestens drei wochen kommen ja dann martin und ich dazu und helfen dir die einträge zu mehren. und vier dauerblogger sind für die leser wohl anstrengend:-)
liebe grüße
leonie
Sogar ein überbloggender Tudy ist für die Leser anstrengend, aber ja nicht aufhören! Ich lese wirklich gerne über Indiens Hobbys, die Fahrradcowboys und die indischen Vorlesungen, falls sie wirklich mal anfangen.
Ich glaube nicht dass ich da mithalten werde können ;-)
ich blogge, dass euch die Augen schmerzen werden... muahahaha!
:)
Hi Michi,
sieht ja wirklich lecker aus das essen und vielleicht klappt das auch noch irgendwann mit den vorlesungen. bin auch echt gespannt was deine freunde so berichten werden.
heute hat martin geburtstag, wenn du anrufen möchtst - 06384/7543 - da haben auch alle urlaub im haus und es müßte immer jemnd zu erreichen sein.
bis bald
Gruß Sigrid
Holá Herr Beck,
das beruhigt mich doch sehr das noch jemand außer mir Parties ohne Drogen und ALKOHOL feiert! Ansonsten find ich das mit dem "Fahrradcowboy" seeehr lässig!! Vielleicht hat dein Fahhradmonteur ja vergessen das Fahrradtaxischild abzumachen.
Tja, halt dich munter und grüß die Affen schön von mir!
Gruß, Sebbi.
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